Göttinger Tageblatt

17.10.2019 - Verbrennung durch 'Feuertornado' war Arbeitsunfall

Verbrennungen durch Feuertornado

Sozialgericht Hildesheim erkennt Verletzungen von Schülerin im „School Lab“ als Arbeitsunfall an

Von Heidi Niemann

Göttingen. Vor zwei Jahren ereignete sich im Experimentierlabor „School Lab“ des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) in Göttingen ein folgenschwerer Unfall: Eine 15-jährige Schülerin des Felix-Klein-Gymnasiums erlitt bei einem Experiment mit einem sogenannten Feuertornado Verbrennungen am Unterschenkel. Jetzt hat sich das Sozialgericht Hildesheim mit dem Fall beschäftigt. Die Schülerin hatte dort geklagt, weil sich der für Niedersachsens Schulen zuständige Versicherungsträger geweigert hatte, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Das Gericht gab der Schülerin Recht: Der Unfall habe sich zwar außerhalb der Schule ereignet. Da die Teilnahme an der Experimentalvorführung aber eine schulische Veranstaltung gewesen sei, müsse die Unfallversicherung der Schule auch für die Folgen aufkommen.

Das „DLR_School_Lab“ in Göttingen ist ein Experimentallabor, in dem Schüler einen Einblick in die Welt der modernen Forschung gewinnen können. Sie können dort unter anderem an Windkanälen und Hubschraubermodellen sowie mit Hochgeschwindigkeitskameras und anderen Hightechgeräten spannende Experimente vornehmen, die sich mit der Physik des Fliegens und der Strömungsphysik beschäftigen. Ziel ist es, das Interesse junger Menschen an natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fragestellungen zu verstärken.

Filmaufnahmen beim Experiment

Das Göttinger Gymnasium hatte im Mai 2015 mit dem „School Lab“ eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, in der Folgezeit nahmen Schüler dort mehrfach an Veranstaltungen teil. Anlass für den Besuch im Oktober 2017 war nach Angaben des Sozialgerichts die Anfrage eines Fernsehsenders, der für die regionale Nachrichtensendung einen Beitrag über das Schülerlabor plante. Das Forschungszentrum habe damals bei dem Leiter des Gymnasiums angefragt, ob einige Schüler bereit wären, an einer Physik-Experimentalveranstaltung teilzunehmen. Von dieser Veranstaltung würden dann Filmaufnahmen gefertigt.

Nachdem der Termin abgestimmt war, habe ein Lehrer sechs Schülerinnen und Schüler als Teilnehmer ausgewählt. Deren Eltern bekamen ein Formular ausgehändigt, auf dem sie einzig ihre Zustimmung zu der Anfertigung der Filmaufnahmen erklären konnten. Weitere Erklärungen forderte das Gymnasium nicht ein, weder eine Zustimmung zur Teilnahme an der Experimentalveranstaltung noch einen Antrag auf eine Unterrichtsbefreiung. Das Forschungszentrum ud der Fernsehsender sollen keinen Kontakt zu den Eltern aufgenommen haben.

Die teilnehmenden Schüler seien ab der dritten Schulstunde vom Unterricht freigestellt gewesen und seien von einem pensionierten Lehrer zum School Lab begleitet worden. Dort fanden dann verschiedene Experimente statt, die gefilmt wurden. Nach zweieinhalb Stunden kam der Feuertornado dran. Bei diesem Experiment wird mit Hilfe von Ethanol und einem sich drehenden Drahtkorb eine Feuersäule erzeugt, die einem Tornado gleicht. Um von dem Effekt weitere Aufnahmen machen zu können, bat ein Kameramann des TV-Senders darum, den Feuertornado erneut zu entzünden. Ein DLR-Mitarbeiter goss daraufhin Ethanol nach – mit fatalen Folgen: Da das Feuer in der sich drehenden Metallschale noch nicht ganz erloschen war, entstand eine Stichflamme, die eine Schülerin im Unterschenkelbereich traf und ihre Hose in Brand setzte. Sie kam mit Verbrennungen ins Krankenhaus.

Bezug zum Unterricht gegeben

Zu den erheblichen Verletzungen kam der Ärger mit der Versicherung hinzu. Das Sozialgericht hatte wenig Verständnis für die ablehnende Haltung der Unfallversicherung. Der Besuch des Experimentallabors habe während der Unterrichtszeit stattgefunden, damit handele es sich um einen Arbeitsunfall. Der Bezug zum Unterricht bestehe darin, dass den Schülern die Möglichkeit eröffnet werde, physikalische Effekte praktisch zu erfahren. Damit werde der Schulunterricht gleichsam an den Ort des Experimentalvortrages verlagert. Das Gericht verwies zudem auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Demnach setzt der elterliche Verantwortungsbereich dort ein, wo der schulische endet. Um Schutzlücken zu vermeiden, müssten Schulen in Zweifelsfällen die Eltern darüber informieren, wo der schulische Bereich ende und ihr Verantwortungsbereich beginne. Eine solche Information sei nicht einmal ansatzweise ersichtlich.

Das DLR hat aus dem Unfall Konsequenzen gezogen: Nach Angaben eines Sprechers finden seit Oktober 2017 keine Feuertornado-Experimente mehr statt. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist noch nicht rechtskräftig.

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