Göttinger Tageblatt

29.06.2011 - Einweihung der Gedenkstätte

Göttingen. „Das Ziel der Nazis war es, alle Juden und Erinnerungen an sie auszulöschen. Das haben wir mit unserer Gedenkstätte verhindert", sagt Tom Walliser. Der 44-Jährige ist Lehrer für Englisch, Erdkunde und Spanisch am Göttinger Felix-Klein-Gymnasium (FKG). In den vergangenen zwei Jahren leitete er eine 40-köpfige Projektgruppe von Schülern, Lehrern und Eltern, die sich die Frage stellte: „Wie war das damals? Das FKG Göttingen unterm Hakenkreuz". Ein 156-seitiges Buch ist entstanden. Gestern wurde zudem eine Gedenkstätte auf dem Schulhof des FKG eröffnet. In zwei rote Quarzit-Steine sind die Namen von 20 Schülern und einem Lehrer eingraviert, die nachweislich am FKG, das damals eine Jungenschule war, unter dem Naziregime zu leiden hatten. Auf einem dritten Stein ist die Aufforderung zu lesen, sich zu erinnern und Widerstand gegen Intoleranz und Rassismus zu leisten. Die Recherche sei nicht einfach gewesen, verdeutlicht der Projektleiter. „Viele Zeitzeugen wurden während des Dritten Reichs ermordet, und die Mehrheit der Überlebenden ist mittlerweile gestorben." Auch die Aktenlage sei dünn gewesen, so Walliser. Ein Kollege, der nach Kriegsende das Wirken der Schule aufarbeiten wollte, habe alle Akten an sich genommen. Nach dessen Tod seien sie vernichtet worden. „Trotzdem ist es uns gelungen, Kopien der damaligen Schulakten und per Schneeballprinzip Überlebende ausfindig zu machen", sagt Walliser. Die teils internationale Recherche finanzierten Eltern, Ehemalige und die Litfin-Stiftung. Die Gespräche mit Zeitzeugen, „die uns ihre Lebensgeschichten erzählt und Originalfotos zur Verfügung gestellt haben", seien am beeindruckendsten gewesen, sind sich die Projektpartner einig. In vielen Gesprächen sei zum Ausdruck gekommen, dass die Schüler den täglichen Hitlergruß, Aufmärsche und Matheaufgaben zur besten Winkeleinstellung eines Gewehrs nicht als Indoktrination empfunden hätten. „Viele sahen ihre Schule, die schon Jahre vor dem entsprechenden Reichsgesetz jüdische Schüler bedrängte, gar als unpolitisch an", sagt Walliser. Die schlechte Behandlung ihrer jüdischen Freunde empfanden zwar viele als ungerecht, doch es habe keiner aufbegehrt, berichten die Zeitzeugen: Die Schüler waren es gewohnt, zu gehorchen. „Zwischenzeitlich war ich so geschockt davon, wozu Menschen fähig sind, dass ich mehrmals fast die Arbeit abgebrochen hätte", erzählt die Schülerin Katharina Wörgötter.  Die Wichtigkeit des Themas auch in der heutigen Zeit habe die 19-jährige Abiturientin darin bestärkt, weiter zu machen. Auch ihr Stufenkamerad Tim Seyde hält die Aufarbeitung der Taten im Dritten Reich noch lange nicht für abgeschlossen. Im Gegenteil: „Wir wollten den von unserer Schule Vertriebenen einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte wiedergeben", sagt der 19-Jährige. „Dadurch und indem wir uns tolerant zeigen, können wir das Wirken der Nazis durchbrechen." Drei Zeitzeugen seien besonders hervorzuheben, sagt Projektleiter Walliser. Der erste: Lehrer Rudolf Küchemann. „Der Kommunist widersetzte sich dem Naziregime und blieb auch nach seiner aus politischen Gründen erfolgten Entlassung die gute Seele der Schule." Der mittlerweile 90-jährige Gustav Born sei zwar christlich getauft, aber als Kind des jüdischen Physikers und Nobelpreisträgers Max Born trotzdem im Alter von zwölf Jahren gezwungen gewesen, mit seiner Familie 1933 nach London zu fliehen. Rudolf Hahn war 1937 der letzte Jude, der im Dritten Reich sein Abitur am FKG erhielt. Sein Sohn Michael Hayden war vor zwei Wochen zu Besuch in Göttingen und ist fest entschlossen, den Kontakt zum FKG zu halten. Eine Ausstellung über die Opfer des Naziregimes am FKG ist noch bis Montag, 4. Juli, im Forum der Schule, Böttingerstraße 17, zu sehen.

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