Göttinger Tageblatt

07.09.2007 - Märchenwoche: Deutsch-Französische Lesungen

Zweisprachige Träumereien
Göttinger Märchenwoche: Deutsche-französische Lesungen

Richard von Volkmann verfasste sie als Lazarettarzt im Siebenjährigen Krieg: die Märchensammlung „Träumereien an französischen Kaminen". Der schreibende Chirurg stand am Mittwochabend im Mittelpunkt der zweisprachigen szenischen Lesung zur 8. Göttinger Märchenwoche. Wie immer ist es dunkel, ruhig und ein wenig kühl – eine Atmosphäre, die jede Lesung im Alten Rathaus begleitet. Auf der Bühne stehen drei karge Stehtische, laternenähnliche Lampen bringen Licht ins Dunkel. Doch der Eindruck täuscht. Denn es ging ganz und gar märchenhaft zu an diesem Abend. Christoph Huber vom Deutschen Theater beginnt mit gewohnter Lesefreude mit Volkmann-Leanders „Drei Schwestern mit den gläsernen Herzen". Von Samtpatschen und gesprungenen Herzen geht es weiter zu unbekannteren Geschichten. Den Bärenhans, „Jean de l'Ours", ein traditionelles Märchen aus den Pyrenäen, trägt Huber zunächst auf deutsch vor. Bärenhans ist Vorbild durch und durch: Mut, Freundschaft, Güte und vor allem Stärke besitzt er, am Ende wartet der verdiente Lohn. Ganz wie es sich gehört. Das französische Original lesen fünf Schülerinnen und Schüler der Oberstufe des Felix-Klein-Gymnasiums und Theodor-Heuss-Gymnasiums. In verteilten Rollen schlüpfen sie stimmlich in die Märchenfiguren, lesen flüssig und fehlerfrei. Als überarbeiteter Klapperstorch mit roten Holzstelzen und als armer Teufel, der ins Weihwasser fiel, läuft Huber zur Höchstform auf: Mimisch, gestisch, rhythmisch vertont er die Worte, wechselt die Lautstärke, fasziniert optisch und akustisch. Den Sinn des Gehörs sprechen auch Barbara und Michael Schäfer an. Sie bringen Musik in die Lesung. Zu vier Händen am Klavier spielen sie impressionistische Märchenvertonungen von Maurice Ravel, darunter die „Pavane de la belle au bois dormant" und „Les entretiens de a belle et la bête". Die Umsetzung verläuft von vitalen über behutsame bis zu dunklen Basstönen. Der Feengarten im letzten Satz erscheint so vor dem geistigen Auge, und es klingt wunderbar. Das Ende bereiten Christoph Huber und die Französin Cindy Presne mit dem Rotkäppchen auf Deutsch und Französisch. In der szenischen Doppellesung stellen sie die Versionen von Charles Perrault und den Brüdern Grimm gegenüber. Ein wahrhaft märchenhafter Abend voller Träumereien und schöner Geschichten.
Martina Rippholz

Zurück (2007)
Nach oben