Göttinger Tageblatt

07.04.2000 - Tödlicher Schnitt in die Brust einer Jungfrau

SCHÜLER-THEATER / "Die Legende vom armen Heinrich" im Felix-Klein-Gymnasium

Tödlicher Schnitt in die Brust einer Jungfrau

Heinrich war schon im Mittelalter mal arm. Ein Versepos besang im 12. Jahrhundert die Leiden des aussätzigen Ritters. 1996 wurde das Jammerbild von Tankred Dorst fortgeschrieben, der die Vorlage in die "Legende vom armen Heinrich" einfließen ließ. Jetzt hat die Theater-AG des Felix-Klein-Gymnasiums das Stück auf die Bühne gebracht.

Die Bühnenbilder und Kostümschneider haben ganze Arbeit geleistet. Bäume und Sträucher wiegen sich im Wind, der durch die Äste streicht - ein schön anzuschauendes Bild, das das gesamte Ensemble fordert. Denn die Akteure steigen bis auf wenige Ausnahmen als Gehölz in die Inszenierung ein. Elsa, ein Mädchen auf der Schwelle zur Frau, steht zwischen ihnen und spricht mit sich, die Bäume antworten.

Eine ganze Reihe von Problemen plagen das Kind. Das schleichende Erwachsen werden will bewältigt sein - ein an sich schon schwieriges Unterfangen mit Eltern, die die Reife der Tochter anders einschätzen. "Da schreit einer, aber ob das der Vater ist?" Elsa zeigt sich widerborstig, die Trennung vom Elternhaus bahnt sich an.

Da kommt der leidende Heinrich gerade recht. Aussätzig, mit Geschwüren übersät, sitzt der Ritter im Turm und fault vor sich hin. Nur der tödliche Schnitt eines Sarazenen in die Brust einer Jungfrau kann Heinrich vor dem Tod bewahren. Mit naivem Idealismus stürzt sich Elsa in die Märtyrer-Rolle. Indes: Der Sarazene lebt im italienischen Salerno - eine weite Reise mit viel Zeit zum Erwachsen werden, zum Erproben des Zusammenseins, zum Überdenken von Opferbereitschaft und dem Leben auf Kosten anderer.
Tankred Dorst hat eine kluge Parabel über Lieben und Leben geliefert. Das Schüler-Ensemble hat sie in einem intensiven und - wie Spielleiterin Regina Grenzmann sagt - sehr eigenständigen Prozess entsprechend umgesetzt. Geradezu professionell ist die Inszenierung geworden, getragen von dem beeindruckenden Spiel von Wiebke Walter, die als Elsa alle Facetten zwischen schnippisch, trickreich und verantwortungsvoll liebend überzeugend zeigt. Selbst dem temperamentvollen Werben des Narren Fizzifagozzi - eine der schönsten Szenen der Inszenierung - widersteht sie frauhaft; keine leichte Aufgabe bei dem mitreißenden Charme, den Darsteller Atiq Rafat versprüht. [...]

Bild: Absurdes mischt sich mit Symbolik: Marc Christmann wedelt mit dem Arm von Jana Brunwinkel.

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