Unser Comenius-Team war in Finnland

Abschlusstreffen des Comenius-Projekts VOICE in Lappland.

Statt in die Böttingerstraße führte uns der Weg am Montag in der Frühe zum Göttinger Bahnhof. Von dort ging es zum Frankfurter Flughafen und von dort mit einer brasilianischen Embraer-Maschine nach Helsinki Wir sind auf dem Weg zu unserem Comenius-Projektreffen. Von Helsinki müssen wir noch einige hundert Kilometer nach Norden, nach Lappland, in die auf dem Polarkreis gelegene Stadt Rovaniemi.
Der Anflug von Helsinki aus erfolgt über eine schneebedeckte Wald- und Seenlandschaft. Vor uns breitet sich das winterliche Rovaniemi aus. Hier herrschen auch jetzt im April tiefe Minusgrade und der Schnee erreicht noch halben Meter Höhe. Nordöstlich der Stadt erhebt sich der Ounasvaara, Rovaniemis Hausberg. Mit seinen Schneeliftanlagen erscheint er aus der Höhe wie eine Spielzeugwelt, die Skifahrer wirken wie Figuren einer Modelleisenbahn. Die beiden mächtigen Flüsse, die in Rovaniemi zusammenfließen, der Ounasjoki und der Kemijoki sind von einer dicken Eisschicht bedeckt - und dies vermutlich bereits seit Monaten. Der strahlendblaue Himmel, der im Eis der Flüsse widerscheint, lädt zwar zum Spaziergang ein. Doch nach der Landung beißt uns die Kälte schon bei den ersten Schritten aus dem Flughafengebäude rücksichtslos ins Gesicht.
Wie beeinflusst diese Klimalage des Polarkreises den Alltag der Menschen, die hier leben? Wie stellen sie sich darauf ein, in ihren privaten und den öffentlichen Räumen, zu Hause und unterwegs, bei ihrer Ernährung und ihrer Kleidung, in ihren Umgangsformen oder bei der Erziehung? Gibt es kulturelle Gewohnheiten oder soziale Besonderheiten, die mittelbar oder unmittelbar dem Klima geschuldet sind? Gibt es spezielle Formen und Orte des Beieinanderseins? Wir haben viele Fragen im Gepäck, denen wir uns während der Projekttage widmen werden. Und was wir herausfinden werden, möchten wir mit unseren heimischen Erfahrungen in Göttingen und denen unserer niederländischen Partner vergleichen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erschließen und dergestalt ein tieferes gegenseitiges Verständnis zu entwickeln.

Dienstag, 09.04.2013

Schon morgens um sieben zur Frühstückszeit empfängt uns in Rovaniemi die Sonne. Welch ein Unterschied zu unserem ersten Besuch, als es noch um 10h morgens stockfinster war. Das Prachtwetter wirkt sich auf die Stimmung aus, die besser kaum sein könnte. Die ersten Schritte des Projekts bestehen in spielerischem Kennenlernen. Es ist witzig, nach fünf Minuten Vorbereitungszeit, eine gemischte Gruppe ein finnisches oder niederländisches Lied singen zu hören. Danach geht es an das Projekt. Die Aufgabe für die beteiligten Gruppen besteht darin, mit Hilfe mitgebrachter Materialien ein großes Schaufenster der Schule so zu gestalten, dass dieses einen Eindruck des Herkunftslandes und seiner natürlichen Gegebenheiten vermittelt. Es wird getan, denn eh gesagt. Mit großem Eifer legen sich alle Beteiligten ins Zeug und schnell gewinnen die Vorhaben Gestalt. Gemeinsam ist allen drei Schaufenstern eine große aus Styropor gefertigte Landkarte, die um vielerlei Gegenstände ergänzt wird. Auch wenn die Schaufenster am Nachmittag noch nicht ganz fertig sind, können sich die Ergebnisse wahrlich sehen lassen. Am Donnerstag wird Zeit sein, weiter zu werkeln. Für heute steht erst einmal etwas Bewegung auf dem Programm. Der in Finnland populärste Schulsport ruft: Eine Partie Floorball ist angesagt. Ziemlich abgekämpft besteigen die Beteiligten danach die vorgefahrenen Minibusse. Es geht 60km nach Westen, nahe an die schwedische Grenze, wo wir einen Einblick in das winterliche Leben einer Sami-Familie bekommen sollen. Die Sami sind die indigenen Ureinwohner Finnlands, die auch heute noch oft von Fischfang und Rentierzucht leben. Unsere Fahrt führt zunächst durch eine recht eintönige Waldlandschaft. Die einzige Abwechslung besteht darin, dass sich Fichten und Birkenbewuchs links und rechts des Weges ablösen. Nach einer Stunde Fahrt biegen wir rechts in einen kleinen Waldweg ein. Der Waldwuchs lichtet sich schnell und eröffnet einen atemberaubenden Ausblick auf einen sich bis zum Horizont ausdehnenden See. Dessen Eisfläche betreten wir kurz später in Begleitung zweier wortkarger Fischer, die uns demonstrieren, wie im Winter mit Netzen gefischt wird. Aus mehreren Löchern im Eis bergen sie Netze und schütteln den zappelnden Inhalt aufs Eis. In Nullkommanix sind die Fische ausgenommen. Und am Abend werden wir in der großen Wohnküche des Holzhauses vor dem munter brennenden Kaminfeuer den Fisch genießen, so frisch wie selten zuvor. Das Essvergnügen wird nur unterbrochen von einer anderen Kulturtechnik Finnlands, dem Saunieren. Für uns wurde eine Rauchsauna angeheizt, die klassischste aller finnischen Saunen. Vier Stunden lang wird ein offenes Feuer in einem Raum abgebrannt, in dem eine Tonne schamottartiger Steine lagert. Die Steine speichern die Hitze und geben sie stundenlang ab. Eine Wohltat! Nur das in Aussicht gestellte Bad in einem Eisloch löst bei dem einen oder anderen mulmiges Herzklopfen aus. Aber nach dem Bad sind sich alle einig: Es weckt neue Lebensgeister. Doch nach unserer Rückkehr nach Rovaniemi, spätabends im Anschluss an einen langen gemeinsamen Tag, fallen wir erschöpft ins Bett.

Mittwoch, 10.04.2013

Wälder und Seen prägen die Wahrnehmung der Menschen im Norden Finnlands. Sie haben ein besonderes Verhältnis zu den natürlichen Rohstoffen Holz und Wasser, natürlich auch zu gefrorenem Wasser, zu Schnee und Eis. Wo uns Schnee und Eis als lästiges Hindernis erscheinen mögen, machen sich die Finnen seine Eigenschaften zunutze. Auf Schnee und Eis lässt sich prima gleiten. Also schnallt man sich Skier unter und legt mal so eben 40 km auf dem gefrorenen Fluss zurück, um ein wenig zu entspannen. Oder man bewegt sich in einer Loipe durch den Wald. Doch dort, wo Rentiere leben und Fallen ausgelegt werden, gibt es nicht immer Loipen und der Wald, voller Bodenwellen, kleiner Gräben und Geäst ist mitunter so beschaffen, dass eine Fortbewegung auf Skiern schier unmöglich ist. In diesem Fall schnallt man sich Schneeschuhe unter und stapft, gestützt aus Skistöcke, durch den Wald. Diese Erfahrung war uns am zweiten Projekttag vorbehalten. Die Mechanik der Schneeschuhbindungen ist schnell erkannt. Aber die Schritttechnik ist gewöhnungsbedürftig. Kurze Schritte mit zügiger Gewichtsverlagerung sind sinnvoller als große Stapfen, bei denen sehr viel Gewicht auf einen Fuß gelegt wird. Da besteht die Gefahr, tiefer in den Schnee einzusinken. Entsprechend größer ist der Kraftaufwand. Der Bick in die Gesichter zeigt Konzentration, aber auch bald Zufriedenheit, einen gleichmäßigen Rhythmus gefunden zu haben. Lautlos bewegen wir uns in langer Reihe durch den Wald. Es war vernünftig, sich so warm einzupacken. Denn trotz der Kälte kommen wir ins Schwitzen. Vor allem, wenn es bergauf geht. Wir erklimmen den Pölliasvaara. Von dort haben wir einen spektakulären Ausblick über Rovaniemi. Belohnung für die vorangegangenen Anstrengungen! Nachmittags wechseln wir das Terrain und versammeln uns im Korrundi. So heißt das örtliche Kunstmuseum. In seiner Architektur erinnert es von ferne an die Göttinger Lokhalle. Sorgfältig renovierte Industriearchitektur. Die gegenwärtige Ausstellung befasst sich allerdings mit der künstlerischen Wahrnehmung und Durchdringung der Natur. Installationen, Skulpturen sowie Zeichnungen, Drucke und Gemälde laden zur Auseinandersetzung in unserem Workshop ein, der von jungen Kunststudentinnen angeleitet wird. Wald und Meer erscheinen in den verschiedenen Ausformungen als Ursprung des Lebens, aber auch als Zeichen der Vergänglichkeit. Sie offenbaren Heiterkeit und Düsternis, Bewegung wie Stillstand, Harmonie und Isolation.

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