Bericht von einem Planspiel

Vor einigen Wochen besuchte uns (die Werte und Normen Kurse des 10. Jahrgangs von Frau Werner) ein junger Mann vom deutschen Jugend Rotkreuz. Er brachte eine Box mit Broschüren mit, legte bunte Folien auf und erzählte uns etwas von einem Planspiel. Planspiel...klingt gut. Klingt interessant, dachten wir. Er erzählte weiter und es klang immer besser, als er erzählte, dass 2 Schüler das Spiel leiten werden, die vorher auf einem Seminar ausgebildet werden und dass sich das Planspiel über 2 Tage erstreckt, an denen wir keinen Unterricht haben. Er erzählte uns, dass ein Planspiel Konfliktsituationen sehr greifbar macht, dass wir uns in Gruppen aufteilen und bestimmte Rollen spielen müssen, und dass wir alle möglichen Informationen erhalten und ganz viel verhandeln müssen. So wenig, wie ihr jetzt wahrscheinlich versteht, was ein Planspiel wirklich ist und wie man so was spielt und wer bitte was machen soll, so wenig verstanden wir zu dem Zeitpunkt auch, was das sein soll. Nach einer Stunde Erklärungen des jungen Mannes von Jugend Rotkreuz wussten wir immerhin so viel, dass beide Kurse sich in jeweils 6 Gruppen teilen, die ausgelost werden. Jede Gruppe schlüpft in die Rolle einer bestimmten Interessenspartei und verhandelt verschiedene Konflikte mit den anderen Parteien. Geleitet wird das ganze Spiel von den so genannten Scouts, die vorher das Spiel und die dessen Leitung auf einem Seminar in Hildesheim lernen werden.

Heute ist das Planspiel vorüber und wir sind um einiges schlauer!

Ich berichte jetzt nur vom Planspielverlauf unseres Kurses, da jedoch beide Kurse dasselbe Spiel spielen, werden sich die Erfahrungen und der Spielverlauf des anderen Kurses wohl nicht sehr von dem unseren unterscheiden. Zu Anfang wurde der Kurs in 6 Gruppen geteilt und jede bekam ihre Rolle. Da sind die beiden afrikanischen Fantasieländer Ratikar und Libaso.Außerdem das Industrieland Deutschland. Eine Weitere Gruppe heißt Sonderbeauftragte für Kinder in bewaffneten Konflikten. Dann sind da noch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und natürlich die Presse.
Die Gruppen wurden räumlich getrennt und bekamen von der Spielleitung alle das gleiche Storybook in dem die Interessen aller Parteien und der zu lösende Konflikt beschrieben werden. In Kurzform geht es darum, dass das große afrikanische Land Ratikar und das viel kleinere Land Libaso seit 5 Jahren Krieg gegeneinander führen, weil das große Land keine Küste und somit keinen Hafen hat und der kürzeste Weg zum Meer, hier das Blaue Meer, durch Libaso führt und weil der nächste Hafen für Ratikar der libasische Hafen Debre ist.
In einer ersten Pressekonferenz verkündete jede Partei ihren Standpunkt und ihre Einstellung: Ratikar will Zugang zur Küste, Libaso will nichts von seinem Küstenland hergeben, Deutschland will Frieden, will sich jedoch nicht zu sehr einmischen, die Sonderbeauftragten für Kinder in bewaffneten Konflikten wollen die Kinder aus dem Krieg heraushalten und die beiden kriegerischen Länder dazu bewegen, sich keiner Kindersoldaten mehr zu bedienen und das IKRK will eine humanitäre Katastrophe in den ausgezehrten Ländern verhindern. Anschließend an die erste Konferenz begann die Verhandlungsphase.
Diese erstreckte sich über mehrere Stunden und wurde ca. zur Halbzeit der Phase und zum Ende des ersten Tages durch eine "Zwischenstands- Pressekonferenz" unterbrochen.
In der Verhandlungsphase haben sich die Interessensparteien Anträge und Mitteilungen geschrieben (die vor der Versendung von einem der Scouts abgesegnet und protokolliert werden mussten) oder sie trafen sich und verhandelten direkt. So wurden Bedingungen gestellt, Allianzen ausgehandelt, Vereinbarungen getroffen (auch einige geheime), gestritten, manchmal gedroht und versucht, seine Interessen möglichst effektiv durchzusetzen. Während all dem versuchte die Presse an möglichst viele Informationen über den Verhandlungsstand zu gelangen und diese zu veröffentlichen.
Die Verhandlungsphase ging am nächsten Tag weiter und ihr folgte eine Abschlusskonferenz, in der Lösungen und Kompromisse präsentiert und Verträge unterschrieben wurden. Die Lösungen sahen ungefähr so aus:
Ratikar und Libaso vereinbarten eine Zollunion, d.h.: eine gemeinsame und für Ratikar Zollfreie Nutzung des Hafens. Deutschland versprach Geld für den Wiederaufbau des Hafens und stellte Libaso eine lukrative Handelsbeziehung im Bezug auf ihre Ölfelder in Aussicht. Außerdem sicherte Deutschland beiden die weitere Zahlung von Entwicklungsgeldern zu. Alle drei Länder erklärten sich nach sehr langem Hin und Her bereit, das Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention zu unterschreiben (d.h.: keine Kindersoldaten mehr einzusetzen), sowie das Genfer Rotkreuz Abkommen (menschenwürdige Behandlung von Kriegsgefangenen, Verletzten etc).
Zum Schluss wurde der Spielverlauf noch einmal durchgegangen und diskutiert und die Gruppen gaben dem Spiel und den Scouts ein Feedback.

Das Feedback des Kurses 10 ef / 10 bil war äußerst positiv und alle waren sich einig, dass das Planspiel eine ganz neue, sehr bereichernde Erfahrung war. Ein Planspiel fordert ein sehr selbstständiges, strategiebezogenes, kreatives Denken, dass im normalen Unterricht selten gefordert wird. Außerdem hat es den meisten einfach viel Spaß gemacht und alle haben große Lust, die Erfahrung zu wiederholen.
Doch ich denke, wenn noch mal ein Planspiel ansteht, sollte man dieses besser vom Schulalltag isolieren. Frau Werner hatte viel Stress, um die nötigen verschiedenen Räume zu reservieren und die Kollegen von der Notwendigkeit und Bereicherung des Spiels für die Schüler zu überzeugen. Ich finde, Planspiele sollten fest in den Lehrplan integriert werden! Jeder Werte und Normen Kurs und erst Recht jeder Politikkurs sollte mindestens einmal ein Planspiel mitgemacht haben. Ich finde, es wird dadurch viel greifbarer und besser nachvollziehbar, wie kompliziert politische Verhandlungen sind und worauf man alles achten muss, um die eigenen Interessen zu schützen und trotzdem keine Interessenspartei zu verärgern und zum Schluss auch noch zu einer zufrieden stellenden Lösung zu kommen. Ich bin der Meinung, dass zwei Tage Unterrichtsbefreiung für ein Planspiel keineswegs einen Verlust bedeuten, sondern dass, im Vergleich zu zwei normalen Schultagen, der Erkenntnisgewinn deutlich höher ist. Es würde sich lohnen, mal drei oder vier Tage wegzufahren um ein Planspiel durchzuführen oder zumindest Räume außerhalb der Schule zu nutzen. So hat man mehr Ruhe und Zeit und kann vielleicht mit noch mehr Interessensparteien spielen und sich an noch komplexere Konflikte heranwagen. Das Spiel wird somit noch realistischer und spannender und macht noch mehr Spaß. Doch auch dieses relativ kurze Planspiel war ein klasse Sache und unbedingt wiederholenswert!

Julia Okatz 10 bil

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